Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten Beschwerden. Beweglich zu bleiben und sich eine aufrechte Körperstruktur zu bewahren, ist bei Überlastung schwierig. Der Körper formt sich entsprechend unseren Bewegungsmustern im Alltag. Was hilft, um wieder geschmeidiger zu werden?
"Form folgt der Funktion, Funktion folgt der Form." Dieser Ansatz aus der Architektur gilt auch für unseren Körper. Der Mensch ist ein sehr anpassungsfähiges Wesen. Manchmal vielleicht zu anpassungsfähig. Der Körper stimmt seinen Bewegungsradius auf das Anforderungsspektrum ab.
Als gesundes Kind hat man alle Bewegungsoptionen offen. Nutzt man den Körper und seine Bewegungsmöglichkeiten im Laufe des Lebens jedoch nicht in vollem Umfang, dann schränkt der Körper diese überflüssige gewordene Beweglichkeit ein. So formt unser Alltag unseren Körper. Oder anders gesagt: Wie wir unseren Körper überwiegend benutzen, so formt er sich.
Faszien und Beweglichkeit
Bei unserer Beweglichkeit spielen die Fasziengewebe eine wichtige Rolle. Die Faszien hüllen alle Strukturen im Körper – Muskeln, Knochen, Organe usw. ein und verbinden sie miteinander. Verbindend, formgebend, eng vernetzt mit dem Nervensystem sind Faszien einerseits sensibel für innere Anspannung.
Doch Ursache ist nicht nur unsere Psyche. Auch Bewegungsmangel, operative Eingriffe, Überlastungen oder Schonhaltungen können zu Verklebungen und Verhärtungen der Faszien führen. Verklebungen erhöhen den muskulären Grundtonus und unser Körper wird starrer und steifer. Das reduziert unseren Bewegungsspielraum dauerhaft und kann auch sehr schmerzhaft sein.
Im Laufe der Zeit werden verklebte Faszien als normal empfunden und entziehen sich unserer Wahrnehmung. Fehlhaltungen manifestieren sich - zum Beispiel: hochgezogene Schultern, ein nach vorn geschobener Kopf oder ein Rundrücken.
Die Faszien - auch Bindegewebe genannt - sind die „Biomüllkippe“ unseres Körpers. Gerade bei Bewegungsarmut können Stoffwechselendprodukte und Giftstoffe zu einer Verstopfung und Übersäuerung der Lymphe führen. Das trägt dazu bei, dass die Faszien noch schneller verkleben.
Gezielte Mobilisation
Neben der Unterstützung des Körpers durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr und eine gezielte Entgiftung ist die achtsame Mobilisation der Faszien der Weg zu einer nachhaltigen Entspannung. Und zu mehr Beweglichkeit - auch auf mentaler Ebene.
Dabei dient die Faszientherapie dazu, die Haltung des Körpers zu verbessern und die Körperstruktur aufzurichten. So kann sich der Betroffene wieder schmerzfreier, entspannter und müheloser bewegen. Er kommt raus aus seiner Fehlhaltung. Eine wesentliche Maßnahme, um die Manifestation von Bewegungseinschränkungen und chronische Rückenschmerzen zu verhindern.
Sitzen so nachteilig wie Rauchen?
Besonders leiden die Menschen, die überwiegende Tätigkeiten im Sitzen haben. Dies führt im Laufe der Zeit zu strukturellen Verkürzungen der Muskulatur und der Faszienschichten auf unserer Bauchseite.
Vor nicht allzu langer Zeit gab es die Schlagzeile "Sitzen ist das neue Rauchen". Das macht deutlich, dass wir uns mehr bewegen sollten. So fällt es auch in modernen Autos und Sesseln schwer, sich aufrecht mit geradem Rücken und einem balancierten Kopf hinzusetzen. Konstruktionsbedingt ist die Sitzfläche häufig nach hinten geneigt. Dadurch kann sich das Becken nicht in eine neutrale Position bewegen und wird in eine nach hinten geneigte Position gezwungen. Der Rücken kann seine geschwungene S-Form nicht aufrecht erhalten und verfällt zwangsläufig in einen runden Rücken.
Wenn wir viele Stunden am Tag in dieser Postion verharren, verkürzen sich im Laufe der Zeit die vorderen Faszienbahnen strukturell und damit die eingehüllte Muskulatur. Unser Körper hat sich angepaßt an diese krumme Haltung und es wird uns schwerer fallen, uns gegen diese Spannung auf der Vorderseite aufzurichten.
Warum Rückenschmerzen im Bauch beginnen
Eine Aufrichtung wird durch unsere Rückenmuskulatur gewährleistet. Bei dauerhaftem Fehlsitzen muss sie jedoch deutlich mehr arbeiten und ermüdet schneller. Die Folge: Wir fallen schneller in eine krumme Haltung zurück.
Ein Dilemma: die dauerhaft muskulär und faszial verkürzte Bauchseite kann zu einem überlasteten Rücken mit vielfältigen Beschwerdebildern führen. Da hilft selten ein Rückentraining, denn die Rückenmuskulatur ist schon am Anschlag mit ihrer Leistungsfähigkeit. Hier wäre eine Verlängerung des Muskel- und Fasziensystems auf der Bauchseite der bessere Weg, zum Beispiel über gezielte Faszienmobilisation, Gymnastik, Dehnung usw.
Das Faszinierende an den Fasziengeweben ist, dass sie "lebende Gewebe" sind. Sie passen sich permanent an unsere Bewegungen an und ermöglichen uns damit rasche Veränderungen in der Körperstruktur.
Wichtig in diesem Zusammenhang und ein sehr großer Hebel bei so einem Veränderungsprozess ist natürlich eine bewußtere Wahrnehmung unserer Körperhaltung im Alltag. Nur dadurch haben wir die Chance, Spannungen
zu erkennen, loszulassen, unsere Körperhaltung zu ändern und damit wieder dauerhaft aufrechter und beweglicher durchs Leben zu gehen.
Natürlich, kindlich, vielfältig
Wie können wir uns dem ganzen Bewegungsspektrum wieder sanft annähern? Es könnte sehr lohnenswert sein, wiederzuentdecken, wie wir als Kind unseren Körper schon einmal physiologisch korrekt bewegt haben.
Erinnern wir uns doch, wie wir auf ideale Weise gehen, laufen, sitzen, stehen, uns bücken und die Arme bewegen! Damit haben wir den Großteil der alltäglichen Bewegungen im Fokus. Und wo unser Fokus ist, da können wir etwas verbessern.
Es wird uns bewusst, dass wir unseren Körper vielfältiger bewegen können. Automatisch führt dies zu mehr Wachheit, Motivation und Energie, uns besser vor Gebrechlichkeiten im Alter zu schützen.
Dr. rer. nat. Arne Sturm
Faszientherapie und Bewegungsschulung
Wangen im Allgäu
www.faszien-bodensee.de
Kommentar schreiben